Juliane Gutschmidt beschäftigt sich mit der Panne, in Englisch: Glitch. Glitch Art ist eine wenige Jahre alte Kunstform, die die gezielte oder zufällige Manipulation von Dateien ausnutzt. Juliane Gutschmidt nennt ihre Version davon „Neue Destruktion“. Wir stellen hier ihre interessante Arbeit vor.
Filmemacher finanzieren Filme über Crowdfunding, Musiker stellen ihre Musik kostenlos in Spotify, Städte berufen beauftragte für Kreativwirtschaft, Schriftsteller veröffentlichen ihre Bücher selbst zum Downloaden und statt in Ölfarbe steckt die Künstlerin Juliane Gutschmidt bis zu den Ellenbogen in Dateien. Beim Atelierbesuch sagt man also nicht mehr: „He, mach dir mal die Farbe aus’m Gesicht“, sondern eher: „Du hast noch jpg auf der backe!“
Glitch Art, dieses wunderbare Genre, das seinen Namen wohl nicht nur aus seiner semantischen Dimension hat, sondern mutmaßlich auch aus der phonetischen Verwandtschaft mit Klecks, Platsch oder Splash, hat Juliane Gutschmidt interessiert, seit ihr klar wurde, dass im Glitch das gewohnte radikal umgestülpt, gedreht, gewendet wird. eine Sichtweise, die der Designerin liegt: sie hat schon vor drei Jahren in ihrer Bachelorarbeit eine atemberaubende quantitative Inventur ihres damaligen Lebens in der Kreativwirtschaft präsentiert. Ihre grafischen Arbeiten waren im dazugehörigen Buch nicht mehr als „schöne“ Abbildungen anwesend, sondern lediglich als Datei-Icons. Ihre Praktika referierte sie nur durch Bürogrundrisse, auf denen sie ihren Arbeitsplatz markierte.
Nun, in ihrer Glitch-Phase, führt sie den kalkulierten Datei-GAU durch, indem sie etwa Bilddateien in Musikprogrammen öffnet oder ähnliche Katastrophen herbeiführt. Dabei ist nach einmal aber nicht Schluss: zehn-, zwölf-, fünfzehnmal hintereinander kann die manipulierte Datei wieder und wieder manipuliert werden, bis Juliane Gutschmidt mit dem Ergebnis zufrieden ist: die Abstraktion der Abstraktion der Abstraktion.
Das hat eine zweifellos medienkritische, politische Dimension und ist auch eine Reflexion über die digitale Bilderflut. Glitch Art ist natürlich auch Hacken, Hinterfragen und zerstören. Auf der anderen Seite ist da aber auch die ästhetische Dimension: das Erzeugen von etwas Schönem, Faszinierendem.
So gesehen erforscht Gutschmidt mit ihrer Arbeit auch die Sinnlichkeit der Daten, die Schönheit des angeblich fehlerhaften, die Poesie des Zufalls – und damit auch das Wesen der Dinge: die vermittelte Stofflichkeit solch mehr oder weniger abstrakter Gegenstände wie Dateien. Dateien, die erst im Glitch zu sich selbst finden und ihre eigenständige Existenz vor unseren Augen realisieren. Wir kennen Dateien ja nur als Behälter von etwas – hier werden sie sie selbst.
Gutschmidt druckt die entstandenen Resultate auf Forex-Platten oder zeigt sie in digitalen Bilderrahmen. In Berlin fand sie nach langer Suche ein Unternehmen, das ihr helfen konnte, einige ihrer Motive als große Wandteppiche zu weben.
Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem wobmag 17. Dem wob-Magazin für Kommunikation und Marken. Das vollständige wobmag 17 sowie die Versionen 1 bis 16 können Sie hier lesen und durchstöbern!
Die Geschichte der Glitch Art
Kurz gesagt ist „Glitch“ eine Panne, eine Fehlfunktion. Glitch Art befasst sich demnach mit der Ästhetisierung einer solchen Panne im digitalen Raum, etwa durch die absichtliche Manipulation von Daten oder Codes oder eines elektronischen Geräts. Ausgangsmaterial sind meist bild- oder Videodateien, aber auch sprach-, text- oder Musikdateien und schließlich auch Hardware wie etwa Computerspielekonsolen.
Zum ersten Mal verwendet wurde der Ausdruck im Zusammenhang mit einer unerwarteten Fehlfunktion 1962 von dem amerikanischen Astronauten John Glenn: „A glitch is a spike or change in voltage in an electrical current.“ Ein frühes Beispiel für die künstlerische Aufarbeitung des Glitch-Prinzips ist Jamie Fentons und Raul Zaritskys Arbeit „Digital TV Dinner“ von 1978.
Mittlerweile hat sich Glitch Art als Gattung etabliert und eine Vielzahl an Varianten hervorgebracht, wie auch ein Blick in Google zeigt. Neben Glitch Art sind die Stichworte Databending, Glitch Music und auch New Media Art. Schlüsselfiguren sind Künstlerinnen und Künstler wie Rosa Menkman, Nick Briz oder Michael Betancourt.