Die MarTech Conf in San Francisco ist seit wenigen Tagen vorbei, Scott Brinker hat die 2016er Version seiner Marketing-Technologie Marktübersicht fertiggestellt. Ein guter Zeitpunkt, um sich mit ein paar grundlegenden Themen zu beschäftigen.
Einleiten möchte ich diesen Artikel jedoch mit einem wunderbaren Zitat von Peter Drucker:
Because the purpose of business is to create a customer, the business enterprise has two–and only two–basic functions: marketing and innovation. Marketing and innovation produce results; all the rest are costs. Marketing is the distinguishing, unique function of the business.
Einzig dieses Zitat ist schon Grund genug, sich mit Marketing-Technologie auseinander zu setzen, ist es doch für viele das bisher fehlende Element im Marketing, welches dem Was sagen wir? und dem Über welche Kanäle? nun endlich die nötigen Mechanismen hinzufügt, die es erst möglich machen, daraus eine Customer-Experience zu entwickeln – eine positive, versteht sich.
Neben – und das darf keinesfalls vergessen werden – der Technologie selbst, braucht es Menschen, die diese auch sinnvoll (aus-)nutzen können. Da diese derzeit noch recht rar sind, spricht man auch gerne von MarTech Unicorns – über deren Gehaltsvorstellungen muss ich nicht viele Worte verlieren.
Es geht also um reichlich Investitionen, die zu tätigen sind. Ein guter Grund sich ein paar Voraussetzungen, vielleicht sogar Basics an zu schauen – und jeder einzelne ist ein guter Grund, die Finger von Marketing-Technologie zu lassen – aber nur so lange, wie die entsprechenden Voraussetzungen nicht geschaffen sind.
MQL/SAL/SQL sind undefiniert
Es ist egal, welche Metapher verwendet wird; ob es ein Sales Funnel oder Sales Cycle oder Sales Coil (den erfinde ich 2017) ist. So lange man keine Lutscher verkauft – also der Verkaufsprozess länger als 5 Sekunden dauert und nichts mit Quengeln zu tun hat – sind sowohl die Marketing-Abteilung als auch der Vertrieb essentiell für jenen Verkaufsprozess.
Üblicherweise findet man in Unternehmen an irgendeiner Stelle eine Art Übergabe eines Leads vom Marketing an den Vertrieb. Zwar halte ich die Trennung dieser beiden Abteilungen für nicht mehr zeitgemäß, was aber nichts daran ändert, dass es der Stand der Dinge in den meisten Unternehmen ist.
Die Begriffe Marketing Qualified Lead, Sales Accepted Lead und Sales Qualified Lead scheinen – auch wenn es Varianten gibt – De-Facto Standards zu sein.
Umso schlimmer ist, wenn diese Begriffe zwischen Marketing und Vertrieb nicht klar definiert sind – und dies beobachte ich unerwartet häufig! Jede Unschärfe führt mindestens zu einem Hoppla im Prozess – schlimmstenfalls bekommt der (potentielle) Kunde gar etwas davon mit.
Die Aufgabe: Schließen Sie Marketing und Vertrieb in einen Raum ein, stellen sie sicher, dass genug Kaffee zur Verfügung steht und lassen Sie sie erst dann wieder raus, wenn Einigkeit darüber besteht, was Marketing an den Vertrieb liefert, wenn von einem Lead gesprochen wird und was der Vertrieb damit tut und wie er ein Zeichen gibt, den Lead angenommen zu haben.
Kein (institutionalisiertes) Feedback auf Leads
Was auch immer das Marketing macht, um einen MQL zu erzeugen, diese Abteilung braucht Feedback, um den Prozess zu optimieren. Oft genug übergibt Marketing einen Hot Lead (oder A+ oder was auch immer) und der Vertrieb findet heraus, dass der Lead alles andere ist als heiß.
Die Konsequenzen sind recht offensichtlich:
- Geld wird zum Fenster raus geworfen – jedes Mal, wenn ein Vertriebsmitarbeiter den Hörer in die Hand nimmt, um mit einem Cold Lead zu sprechen – wie dann im Gespräch heraus kommt.
- Schlimmer noch: Der Vertrieb verliert das Vertrauen in das Marketing. “Die verschwenden meine Zeit” hört man dann vielleicht. Das Marketing wiederum fühlt sich – trotz aller Anstrengungen – nicht wertgeschätzt. Am Ende steht dann eine riesige Mauer zwischen diesen beiden Abteilungen, die eigentlich im Verkaufsprozess kooperieren sollten.
Die Aufgabe: Sobald sich die Akteure von dem ersten Termin erholt haben, schließen Sie sie wieder einen Raum ein – zur Abwechslung halt einen anderen – und lassen sie erst dann raus, wenn es eine belastbare Vereinbarung für einen regelmäßigen, falls nötig formalisierten, bi-direktionalen Informationsfluss gibt.
Mängel bei der Ausrichtung – Alignment
Dieser Punkt ist recht offensichtlich. Das Marketing hat Zielvorgaben, der Vertrieb ebenso. Um diese Ziele zu erreichen, könnten diese Abteilungen in unterschiedliche Richtungen laufen, das übergeordnete, gemeinsame Ziel übersehen, vergessen oder ignorieren.
If you give a manager a numerical target, he’ll make it even if he has to destroy the company in the process.
Natürlich trifft dieses bekannte Zitat von William E. Deming nicht nur auf Manager zu.
Die Aufgabe: Sicherstellen, dass die Ziele der beiden Bereiche nicht zu einer Fehlausrichtung führen, die Kooperation im Sinne übergeordneter Ziele be- oder gar verhindert.
Mangelnde Reife des Marketing Teams
Ein Zweck von Marketing Technologe ist, es einer relativ kleinen Gruppe von Marketing Mitarbeitern zu ermöglichen, mit einer erheblich größeren Gruppe von Kunden und Interessenten in Kontakt zu bleiben und sie mit relevanten (!) Informationen zu Produkten und Dienstleistungen zu versorgen.
Dies wird schneller als man erwartet ein recht kompliziertes Unterfangen. Mehrere Zielgruppen, mehrere Produkte, Kaufprozesse, Buying-Center, Kundentypen und -beziehungen, Politik und … ich vermute, dass es viele weitere Dimensionen im konkreten Fall gibt. So oder so landet man am Ende bei einem System mit vielen, sich gegenseitig beeinflussenden Beziehungen, die kaum jemand überblicken kann.
Zusätzlich muss die Organisation ein komplexes System von Marketing-Technologie in den Griff bekommen. Niemand sollte auf die Plug&Play Versprechungen der Hersteller hereinfallen. Das gilt selten für ein System, für ein System von Systemen (das schließt Marketing-Clouds ein) noch seltener.
Das Marketing-Team muss mit diesen Hausforderungen klarkommen, was nicht unmöglich ist, aber ein gewisses Maß an Reife voraussetzt. Ein komplexes System kann man nicht mit einer Truppe von Anfängern handhaben.
Die Aufgabe: Die richtigen Mitarbeiter finden, eine Atmosphäre des Vertrauens aufbauen, Experimentieren und auch Fehler erlauben. Das Team muss seinen Weg selbst finden und reifen.
Keine Prozesskompetenz
Am Anfang hatte Business-Software einen einzigen Zweck: Wiederkehrende Prozesse zu automatisieren. Dieses Erbe ist in MarTech Software weiterhin zu finden. Es geht darum Kommunikationsprozesse zu designen, über Zeit, Ort, Kanäle, Zielgruppen und weitere Dimensionen.
Diese Prozesse kann man nicht an der Ecke kaufen, auch nicht von Mitbewerbern übernehmen, man muss sie selbst aufbauen. Ausprobieren, was funktioniert, das heißt auch Ergebnisse messen, und dies in einen oder mehrere Prozesse gießen.
Diese sollten visuell dokumentiert werden und bei Änderungen entsprechend aktualisiert, was ein hohes Maß abstrakten Vorstellungsvermögens voraussetzt – übrigens auf einem ebenso hohen Detailgrad.
Meine Erfahrung erlaubt mir die Behauptung, dass dies nicht einfach ist. Ein wenig Erfahrung hilft ungemein. Das ist zwar keine Raketenwissenschaft, aber es braucht ein wenig Zeit.
Die Aufgabe: Es muss entschieden werden, wie das Team Prozesse visualisiert. Jeder sollte in der Lage sein, diese Visualisierungen zu lesen und zu verstehen. Ein nur wenig kleinerer Teil des Teams sollte diese auch anpassen und erweitern können.
Keine Kompetenzen in Daten und Analysen
Marketing Technologie ist rund um Daten aufgebaut, oft nur schwach strukturierte Daten. Diese zu verwalten – auf operativer wie auch strategischer Ebene – erfordert diverse Fähigkeiten. Daten sind schlicht Daten, weder Information noch Wissen.
Das, was aber von Interesse ist, ist das Wissen über Kunden, Interessenten und den Markt als Ganzes. Irgendwer muss also aus Daten Wissen machen – das schaffen auch die neuesten KI-Programme nicht; erst recht nicht ohne massives Training. Schnell sind hier ein oder mehrere Spezialisten am Werk, die die Daten so lange quälen, bis sie neue Hypothesen ausspucken, die dann zu validieren sind, wodurch sich der Kreis zum oben erwähnten Ausprobieren schließt.
Noch ein Hinweis aus persönlicher Erfahrung: Es ist meist besser, sich im Vorfeld Gedanken zu machen, welche Daten man zu welchem Zweck sammeln will. Das spart oft auch schlicht Geld, weil so aus Big Data ganz schnell mal Small Data wird – im B2B Bereich mit oftmals eher homöpatischen Zielgruppen-Größen gilt dies ganz besonders.
Die Aufgabe: Sicherstellen, dass jeder im Team auf operativer Ebene mit Daten umgehen kann – ein wenig Theorie hilft ungemein. Außerdem sollte jeder mit einem Spezialisten für Analysen reden können und in der Lage sein, selbst gute Ideen zu entwickeln, wie eine Hypothese durch Daten validiert werden kann.
Fazit
In Marketing-Technologie steckt erhebliches Potential. Dieses zu Nutzen ist jedoch kein Selbstläufer. Trotz all der Software, bestehend aus Trillionen Zeilen Programmierung, braucht man vor allem ein Team mit verschiedenen Fähigkeiten, welches in der Lage ist, das Klavier auch zu spielen. Die Software löst keine Probleme, das tun Menschen, eingebettet in die richtige Organisation.
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Weitere Informationen zu den Themen Marketing-Technologie, Marketing Automation und Lead Management finden Sie unter:
www.wob.ag/dialog-leadmanagement