Ein Gespräch mit Prof. Nigel Dodd von der London School of Economics and Political Science über sein Buch “The Social Life Of Money” und das utopische Potenzial des Internet.
Steffen Herbold: Professor Dodd, irgendwie sind ja Marketingleute und Werber permanent damit beschäftigt, die mythische Bedeutung von Waren und Services wiederherzustellen, indem sie den „ideellen Wert“ von Marken kreieren. Ein Turnschuh ist kein Turnschuh, sondern ein Medium, das die Macht von Usain Bolt auf den normalen Läufer überträgt – und das wiederum erklärt die Höhe des Preises, den man für sie bezahlen muss. Warum sollte in dieser Hinsicht die Marketing Community Ihr Buch „The Social Life of Money“ lesen?
Nigel Dodd: Beim Geld geht es ja nicht nur um das Bezahlen von Waren und Dienstleistungen. Es hat tiefe und uralte Verbindungen zu Religion und Moralvorstellungen, Politik und Gewalt, Kultur und sozialer Identität. Geld ist eine bemerkenswerte soziale Technologie, obwohl die meisten von uns kaum Zeit damit verbringen, über seine soziale Charakteristik nachzudenken. Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom Paul Krugman hat kürzlich einmal gesagt, dass Geld eine sehr seltsame Eigenschaft an sich hat, nämlich eine soziale Einrichtung zu sein, die auch wie ein echter Vermögenswert aussieht. Wir wissen, dass Geld kein Gold ist, aber die Vorstellung, dass es eine Sache, ein Ding ist, ist dennoch nur schwer aus unseren Köpfen zu kriegen.
Beim Schreiben von „The Social Life of Money“ war es nicht nur mein Ziel, auf die Finanzkrise zu antworten, sondern über weitreichendere Entwicklungen nachzudenken, die schon seit längerer Zeit vor sich gehen – obwohl sie seit 2008 natürlich eine Beschleunigung erfahren haben. Jetzt ist der Moment einer Neuausrichtung in der weltweiten Geldlandschaft. Diese Neuausrichtung steht generell im Zeichen der wachsenden Diversifikation des Geldes durch den Aufstieg alternativer Geldformen wie beispielsweise Time Dollars, lokalen Währungen wie dem Brixton-oder dem Bristol-Pfund, Peer-to-Peer Krediten wie Zopa, Transfer Services wie M-Pesa und natürlich Bitcoin. Alternative Währungen wachsen in einem erstaunlichen Ausmaß und wir brauchen eine größere Bandbreite an begrifflichen Werkzeugen, um sie zu verstehen.
Steffen Herbold: In „The Social Life of Money“ beziehen Sie sich neben anderen auch auf den Philosophen Georg Simmel, der die Rolle des Geldes eng mit der Entwicklung der modernen Stadt verknüpft hat. Glauben Sie, dass das Internet eine ähnlich bedeutende Rolle bei der Art und Weise, wie wir Geld nutzen und darüber nachdenken, spielen wird? Mit anderen Worten: Könnte das Internet Utopia sein?
Nigel Dodd: Sicherlich, Utopismus beeinflusst das Design von Zahlungssystemen. Indem wir kreative, sehr praktische Wege finden, die den Begriff eines unpersönlichen Zahlungswerkzeugs, das diejenigen, die es nutzen, mehr trennt als vereint, herausfordern. Bitcoin ist ein prominentes und öffentlichkeitswirksames Beispiel, wie Utopismus an diesem Prozess mitwirken kann. Das findet ja politische Resonanz in der Occupy-Bewegung, nicht nur, weil es die Rolle der Banken bei der Kreation von Geld beeinflusst, sondern auch durch seinen horizontalen Ansatz. Bitcoin verkörpert das Netzwerk, das nicht durch zentrale Quellen der Autorität, sondern durch die Weisheit der Crowds regiert wird – mit dem einen Vorbehalt, dass es die Crowds automatisiert.
Aber andererseits wäre es naiv, die kommerzielle Agenda zu ignorieren, die den Prozess der monetären Diversifizierung auch vorantreibt. In dem Maße, in dem die Nutzung von Bargeld abnimmt, greift die private Zahlungsservice-Industrie nach der Infrastruktur des Geldes. Soziale Netzwerk-Plattformen und Mobilfunkanbieter gesellen sich zu den Kreditkarten-Unternehmen und alle wetteifern um die ein bis vier Prozentscheibchen Gebühr von jeder einzelnen Transaktion. Hier liegen klare Gefahren. Der offene Zugang zu Zahlungstechnologien sollte ein integraler Bestandteil der Freiheit des Umgangs mit Geld sein, und diese Freiheit sollte nicht durch Privatinteressen eingeschränkt werden. Ein wichtiger Aspekt der Infrastruktur des Geldes wird so weiter weg von den Nutzen für die Bürger getragen, die aus dem Aufkommen alternativen Geldes erwachsen sollten – und nicht näher, wie es sein sollte.
Steffen Herbold: Zuerst dachte ich „The Social Life of Money“ ist nur ein Buch für Profis, die tief im Thema stecken. Inzwischen denke ich, jeder, der willens ist, über Wirtschaft nachzudenken, sollte es lesen. Warum diskutieren wir eigentlich über unser Geldsystem immer so, als sei es gottgegeben?
Nigel Dodd: Um diese Frage zu beantworten, muss ich nicht über Utopia, sondern über Ignoranz reden, denn Missverständnisse darüber, wie Geld tatsächlich kreiert wird, sind ein wichtiger Kontext für das, was ich erforsche. Missverständnisse darüber, wie und wo Geld geschaffen wird, findet man auf allen Ebenen.
In den meisten Ländern auf der Nordhalbkugel werden ungefähr 97 % des Geldes von Geschäftsbanken in Form von Schulden, also Krediten, produziert. Dieser einfache Fakt wird nicht gut verstanden. Im Vereinigten Königreich hat eine Umfrage für die „Positive Money Campaign“ unter Parlamentsabgeordneten
herausgefunden, dass 85 % der Befragten immer noch glauben, dass das Geld von der Bank of England gemacht wird. In einer Studie unter der Bevölkerung, die für eine Masterthese am Institut für Finanzen und Banking der Universität Zürich durchgeführt wurde, waren 73 % der Befragten der Ansicht, dass Geld von der Zentralbank oder dem Staat geschaffen wird.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute denken, dass Geld gottgegeben ist, aber ganz bestimmt denken sie, es sei „natürlich“, dass Geld gedruckt wird und dass die Zentralbank darüber die komplette Kontrolle hat – obwohl beides nicht wahr ist. Wir müssen deshalb den komplexen sozialen, politischen und
institutionellen Beziehungen, die in die Kreation, den Gebrauch und die Zerstörung von Geld involviert sind, viel größere Aufmerksamkeit schenken. Die Finanzkrise von 2008 lenkte die Aufmerksamkeit auf Geld als etwas, das beides ist: sozial und gesellschaftlich.
Gerade jetzt, wo wir die laufenden Debatten über quantitative Erleichterungen und Schulden innerhalb der Eurozone sehen, geht die Frage „Wer zahlt?“ zum Kern der Frage, wie die Gesellschaft ihr Geld organisiert. Und diese wiederum wirft Fragen über Macht, Freiheit, Gerechtigkeit und dem Gesetz auf. Die Menschen sollten nicht nur mein Buch lesen, sondern jedes Buch, das ihnen zu einem fundierteren Verständnis von Geld verhilft. Wie können wir diese Angelegenheiten ordentlich debattieren, wenn wir sie nicht gut verstehen? Welche Hoffnung gibt es, wenn selbst unsere Politiker und Business-Studenten sie nicht gut verstehen?
Steffen Herbold: Professor Dodd, vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch!
Nigel Dodd ist Professor am Soziologie Department der London School of Economics and Political Science, der er nach seiner Promotion in Cambridge und einigen Jahren an der Universität von Liverpool seit 1995 angehört. Sein letztes Buch „The Social Life of Money“ wurde 2014 bei Princeton University Press veröffentlicht und ist im Frühjahr 2016 mit einem überarbeiteten Vorwort als eBook erschienen. Das Ziel des Buches ist eine Neuformulierung der soziologischen Theorie des Geldes in der Folge der globalen Finanzkrise. Es fokussiert sich auf die Frage, wie Geld aus der Dominanz von Banken und staatlichem Missmanagement genommen werden kann, und diskutiert Lösungswege auf der Grundlage der Thesen des deutschen Philosophen Georg Simmel. Das Buch fand weltweit Aufmerksamkeit und wurde vielfach, unter anderem auch in der Financial Times, besprochen.
Interview: Steffen Herbold
Fotos: Sanjeef Kana