Die Agentur der Zukunft muss sich beeilen. Womit eigentlich? Das möchte ich in diesem Beitrag skizzieren.
Im digitalen Raum verflüssigen sich die Grenzen der Marke in Dialog und Interaktion zu sich permanent aktualisierenden Markenbildern, die nicht nur dauerndes Monitoring, sondern auch eine ständige Anpassung von Strategien und Inhalten erfordern. Dass wir nun endlich tatsächlich wissen, was Kunden wirklich wollen, ist nicht nur ein Segen, sondern auch Verantwortung, denn wo Agentur und Marketing früher zwangsläufig im Trüben fischten, ist heute die Möglichkeit zu nie da gewesener Transparenz gegeben. Wer sie nicht nutzt, handelt nicht nur fahrlässig, sondern wird untergehen. Mit anderen Worten: Evolution schreibt man durchaus mit R.
Dafür müssen Agenturen (und übrigens auch Marketing-Abteilungen) in einem Maße umgebaut werden, wie sich das selbst ausgemachte Zukunftsexperten
kaum vorstellen konnten. Tatsache ist, kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Eine der Schlüsselgedanken im zukünftigen Kalkül permanenter Messbarkeit
von Kommunikation ist zweifellos die „accountable agency“ – die Agentur also, die sich erfolgsabhängig vergüten lässt. Kommunikation hat das Ziel, Geschäftsmöglichkeiten für ein Unternehmen zu schaffen, und die Agentur verantwortet das Ergebnis in beiden Richtungen. Ich habe keine Zweifel, dass das in Zukunft so sein wird. Aber: Solche Arbeitsmodelle lassen sich nicht übers Knie brechen, sondern müssen sorgfältig aufgesetzt werden. Ich möchte hier kurz die Grundvoraussetzungen diskutieren, die meiner Meinung nach die Etikette solch neuer Modelle der Zusammenarbeit bilden müssen.
Erstens: Briefings
Wenn direkte Erfolgsmessung Basis für die Vergütung der Agentur wird, können Briefings nicht durch den Briefkastenschlitz geschoben werden. In höherem Umfang als bisher ohnehin wird ein Briefing vom monolithischen Urpapier zum Prozess. Dabei müssen meines Erachtens auch die Bedingungen des Zustandekommens hinterfragt werden. Die Agentur ist an diesem Prozess beteiligt, indem sie ihre eigenen analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten mit einbringt. Das Potenzial der Agenturfachleute in Bezug auf Customer Journey, Digital Analytics, User Experience, Content, Social Media, aber auch IT-Infrastruktur kann und sollte durchaus hier schon eine gewichtige Rolle spielen.
Zweitens: Vertrauen
Kommunikation im digitalen Raum – ihre Messung und permanente Anpassung erfordern die engere Zusammenarbeit mehrerer Gewerke seitens der Agentur und der Fachabteilungen bei Unternehmen. Waren in der analogen Kommunikationswelt die Gewerke noch schön hintereinander auf dem Zeitpfeil angeordnet, sind sie nun ein sich permanent austauschendes Netzwerk. Deshalb müssen sie sich kennen und vertrauensvoll produktiv miteinander arbeiten. Wer glaubt, dass digital weniger Mensch bedeutet, der irrt gewaltig.
Drittens: Erfolgsmessung
Die Methoden der Erfolgsmessung müssen vor dem Rollout der Kampagne festgelegt werden. Ihre Qualität muss von beiden Seiten für gut befunden und akzeptiert werden. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit schafft aber auch die Voraussetzungen dafür, dass Instrumente zur Erfolgsmessung im Verlauf der
Kampagne, wenn notwendig, angepasst, verbessert und fein geschliffen werden können. Darüber wird ebenso zu reden sein wie über die Frage, wer die Erfolgsmessung vornimmt.
Viertens: Vergütungsmodelle
Ein erfolgsbasiertes Vergütungsmodell steht im Zeitalter der digitalen Kommunikation zurecht auf der Agenda, denn die Qualität der Messung von Performance ist im digitalen Raum natürlich exponential gestiegen; deshalb stimmen jetzt – zumindest theoretisch – die Voraussetzungen. Nicht von ungefähr heißt das Bezahlmodell der weltgrößten Werbeplattform Google „pay per click“. Für Agenturen sollte es hoffentlich das Ende des seit Jahren andauernden Absenkens von Stundensätzen bedeuten. Womöglich fördert dieses neue Modell wieder das Bewusstsein, dass man Ideen nicht nach Zeit bewerten sollte, indem erfolgreiche Ideen besser belohnt werden als weniger erfolgreiche – und übrigens auch Prozesse. Denn Bewertungsgrundlage sind nicht mehr einzelne Kampagnen, sondern permanente Kommunikationsprozesse.
Fünftens: Pitch-Praxis
Schließlich wäre zu wünschen, dass „accountable advertising“ auch Einfluss auf die Pitch-Praxis der letzten Jahre hat. Denn ebenso wenig wie man heute von fix und fertigen Briefings ausgehen kann, sollte man bei Pitches fertige Kampagnen erwarten, die auf der Basis von hypothetisch fertigen Pitch-Briefings entstehen. Und als theoretische Trockenübung sind umfängliche Pitches einfach zu aufwändig. Es geht nicht mehr nur um die eine Idee, sondern um die Fähigkeit, den Prozess zu gestalten und zu managen. Und das kann man nicht pitchen. Gerade hier brauchen wir eine neue Etikette des Wettbewerbs. Alles in allem können wir sagen: Wir haben von Agenturseite her keine Angst vor „accountable advertising“ – wenn die Voraussetzungen und die Praxis der Zuammenarbeit stimmen. Dann nämlich kann dieses Kalkül in der Tat die Zukunft der Beziehungen zwischen Agentur und Werbetreibenden bestimmen. Und dann können wir uns gerne
damit beeilen – und Evolution mit R schreiben.
Der Artikel von Gudmund Semb stammt aus dem wobmag 18 – das wob-Magazin für Kommunikation und Marken – erschienen im April 2016. Auf unserer Website können Sie die Ausgabe 18 in digitaler Form lesen oder die Printversion bestellen! Dort erfahren Sie auch mehr über uns, unsere Leistungen und unsere Referenzen.